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Wenn der Hahn ruft, muss man aufstehen

发布时间:2017-09-06浏览次数:204

Wang Kewen gehört zu den Besten ihres Studiengangs in ganz China. Gerade hat sie ein Stipendium des FC Bayern bekommen. Treffen mit einer Deutschlandbegeisterten in Shanghai.

Wang Kewen hinter der Bayern-Bank bei einem Auswärtsspiel in China © WANG KEWEN
Wang Kewen würde an diesem Mittwoch lieber mit ihren Freundinnen in einem der vielen Shanghaier Cafés sitzen. Draußen scheint die Sonne, dazu ein strahlend blauer Himmel und ein leichter Wind. „Ein bisschen traaatschen“, sagt Kewen und muss lachen. Die junge Chinesin spricht fließend Deutsch, das „a“ zieht sie dabei sympathisch in die Länge. „Traaatschen“, sagt sie. „Ja, warum nicht.“ Schließlich sind Semesterferien. In China reisen die Studenten aus der Provinz meist nach Hause zu ihren Eltern und helfen dort im Haushalt aus. Einige müssen bis zu 26 Stunden mit dem Zug fahren, um ihre Eltern zu sehen, die Semesterferien bieten dafür die einzige Gelegenheit. Wang Kewen kommt aus Shanghais Nachbarprovinz Zhejiang. Sie ist schnell zu Hause, bleibt deshalb oft auch einfach in Shanghai. Ins Café gehen oder nach Hause zu den Eltern, das kann sie sich aussuchen. Der Weg in die Lehrräume der Universität sind normalerweise keine Option für sie. Und dennoch fährt Wang Kewen an jenem Mittwoch genau dorthin, zur Deutschen Fakultät der Shanghaier Tongji Universität.
„Ich bin schön aufgeregt“, sagt Kewen. Die 21-Jährige trägt einen kurzen weißen Rock, darüber ein kurzärmeliges rotes Oberteil, auf dessen Kragen in kleinen Buchstaben geschrieben steht: Mia san Mia. Kewen ist leidenschaftlicher Fußballfan, und an diesem Tag trägt sie das neue Trikot ihres Lieblingsvereins FC Bayern München. In Deutschland gibt es das Trikot für die kommende Saison erst seit wenigen Tagen zu kaufen, in China schon seit Wochen. Der Grund für Kewens Kleiderwahl: An jenem Feriennachmittag kommt Karl-Heinz Rummenigge zur Tongji Universität. Als die schwarzen Wagen vorfahren, fährt sich Kewen hastig durchs Haar. Die junge Chinesin ist sichtlich nervös, denn der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern München wird keinen Vortrag halten, wird weder über die Erfolge des Vereins sprechen noch über Vermarktungschancen bayerischer Fanartikel in China reden. Rummenigge kommt wegen Kewen. Sie ist eine von drei Studentinnen, die erstmals ein Stipendium des FC Bayern München bekommen.
Wer soll sich die ganzen Artikel merken?

Selfie mit Thomas Müller © WANG KEWEN

Wang Kewen studiert im siebten Semester Fahrzeugtechnik an der Chinesisch-Deutschen Hochschule für Angewandte Wissenschaften (CDHAW) der Tongji Universität Shanghai. Das CDHAW gilt als Leuchtturmprojekt bilateraler Bildungskooperation und soll Elemente der deutschen Ingenieurausbildung mit dem chinesischen Hochschulwesen zusammenbringen. Deshalb lernt die 21-Jährige auch seit knapp zwei Jahren Deutsch. „Das ist gar nicht so schwer“, sagt sie, muss dann aber lachen und fügt schnell hinzu: „Einfach ist aber auch nicht.“ Vor allem die unterschiedlichen Artikel würden ihr zu schaffen machen. „Der, die, das – wer soll sich das denn alles merken? Im Chinesischen gibt es sowas nicht.“ Wenn sie nicht weiterwisse, falle ihre Wahl immer auf „die“, das höre sich einfach am besten an. Dass umgekehrt viele Ausländer Chinesisch als schwierige Sprache empfinden, kann sie verstehen. „Unser Satzbau wirkt auf den ersten Blick sehr beliebig. Zudem benutzen wir sehr viele Redewendungen.“ Die „chengyu“ genannten Sprichwörter bestehen meist aus vier Silben mit tieferem Sinn. Kewens Lieblingssprichwort lautet 闻鸡起舞 – wenji qiwu, was übersetzt in etwa heißt: Wenn der Hahn ruft, muss man aufstehen. Gemeint ist, man solle jeden Tag zielstrebig angehen und fleißig trainieren, erklärt sie.
Kewen jedenfalls scheint sich an das Sprichwort zu halten. In ihrem Studiengang gehört sie zu den Besten – „und damit zu den Besten in ganz China“, berichtet der Vizepräsident der Tongji-Universität Wu Jiang stolz. Auf die Frage, was ihr Interesse an einem so kleinen Land wie Deutschland geweckt habe, nennt Kewen zwei völlig unterschiedliche Gründe: Erstens sei ihr Vater ein großer Fan des deutschen Fußballs. „Wenn die deutsche Nationalmannschaft spielt, sitzen wir zu Hause immer vor dem Fernseher. Egal zu welcher Uhrzeit.“ Der zweite Grund für Kewens Deutschlandinteresse liegt schon einige Jahre zurück: Kewen ging damals in die Mittelschule, als im Englischunterricht ein Schulwettbewerb ausgerufen wurde. Die Schüler sollten auf Englisch einen spannenden Vortrag über Deutschland, dessen Geschichte und Kultur erstellen. Und der erste Preis? Kewen muss bei dieser Frage lachen. „Ich habe damals nicht gewonnen. Aber mein Interesse an Deutschland war geweckt.“
Bayerische Schweinshaxe eher nicht



FC Bayern-Begeisterung an der Tongji Universität
Bald wird Kewen zum ersten Mal nach Deutschland fahren. Im Rahmen ihres Studiengangs ist ein Austauschjahr in Deutschland eingeplant, wovon ein Semester studiert wird und ein Semester Praktika absolviert werden. „Ich wäre sehr gerne nach München gegangen“, erzählt Kewen. Eine Großstadt – zudem genieße die Partnerhochschule TU-München in China einen sehr guten Ruf – und dann spielen ja dort auch noch die Bayern. Doch da fast alle ihre Kommilitonen ebenfalls nach München wollten, muss Kewen nun nach Nürnberg ausweichen. „Ist auch nicht so weit weg von München“, sagt sie und dort gebe es auch tolle Sachen, sie habe von Adidas und Puma gehört. „Zudem haben mir viele von dem dortigen Weihnachtsmarkt erzählt.“ Generell hat Kewen ein sehr klares Bild davon, was sie in Deutschland erwarten wird: Dort sei es sauber, geordnet, zudem gebe es viel Natur. „Und die Deutschen sind sehr nett“, sagt Kewen. Ihre Vorfreude ist groß, wäre da nur nicht das deutsche Essen. Damit kann sich die junge Chinesin so gar nicht anfreunden: viel zu viel Fleisch, sagt sie. Sie möge Bayern sehr, aber eine bayerische Schweinshaxe eher nicht.
Als Karl-Heinz Rummenigge am Nachmittag schließlich an der Tongji-Universität ankommt, nimmt er an einem schmalen Tisch gegenüber von Kewen Platz. Er freue sich, die Stipendiatinnen endlich auch persönlich kennenzulernen, sagt der ehemalige Fußball-Profi. „Wir wollen mit dem Stipendium eine nachhaltige Verbindung zwischen Deutschland und China schaffen und gleichzeitig Wissen, soziale Kompetenz und Persönlichkeit fördern“, erklärt Rummenigge. Wang Kewen erzählt ihm von ihrem Studium in Shanghai, den Hürden der deutschen Sprache und davon, wie sie über Sprache und Kultur eine Bindung zu Deutschland aufgebaut habe. „Genau das wollen wir mit unserem Stipendium fördern“, sagt Rummenigge und fügt hinzu: „Und wenn wir ihnen irgendwie zusätzlich helfen können, sagen sie uns bitte Bescheid.“ Kewen sagt „Ja“- und schließt schlagfertig die Frage an: „Kann ich nach meiner Rückkehr in ihrem Büro in Shanghai arbeiten?“ Auch in Deutschland gibt es dafür eine Redensart, die Kewen bald lernen wird: Die Gelegenheit beim Schopfe packen.


Quelle: Frankfurter Allgemeine, 04.09.2017

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