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Die Schweiz braucht dringend eine China-Strategie

发布时间:2018-02-04浏览次数:202

Das aufsteigende China verändert die Welt. Die Schweiz sollte dem Land deshalb besondere politische und wirtschaftliche Aufmerksamkeit widmen. Statt dass man abwartet oder Einzelinteressen wahrnimmt, braucht es eine klare Strategie.
Ruedi Nützi
31.1.2018, 05:30 Uhr

In China ist vieles noch möglich: Tianzi Hotel in Langfang. (Bild: Imago)


Das Bild Chinas in der Schweiz ist weitum geprägt von Halbwissen. Die meisten Menschen haben keine Vorstellung von der Grösse, der Dynamik, den Problemen und den Erfolgen Chinas. In den Medien dominieren Geschichten zu Staatspräsident Xi Jinping als starker Führungsfigur, zur Einkaufstour chinesischer Firmen im Westen und zur misslichen Lage von Menschenrechtsaktivisten und Wanderarbeitern in China.

Die Aktionen von Schweizer Akteuren mit China sind geprägt von der Wahrnehmung von Einzelinteressen oder von Abwarten. Beispiel: Bundesrat Johann Schneider-Ammann unterzeichnete im April 2016 in Peking eine strategische Partnerschaft im Bereich Innovation. Was indes konkret daraus wird, überlassen wir als föderalistisches Land und Innovationsweltmeister einzelnen Akteuren. Dabei müssten wir in Zeiten weltweiter dramatischer wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Umbrüche die beachtlichen Errungenschaften der Schweiz dynamisch und koordiniert bewirtschaften. Weshalb?

Zentralstaat mit Strategie

China sprengt alle bisherigen Dimensionen. Drei Beispiele veranschaulichen die Sonderstellung Chinas: Das Land ist so gross wie Europa und hat fast doppelt so viele Einwohner. 2011 bis 2013 wurden in China 50 Prozent mehr Beton verbaut als in den USA im ganzen 20. Jahrhundert. Alibaba, der grösste Online-Händler Chinas, hat am diesjährigen Singles’ Day 25,3 Milliarden Dollar Umsatz erzielt. Das entspricht 40 Prozent der jährlichen Einnahmen der Schweiz.

In den nächsten Jahren wird es nicht eine konstante Entwicklung, sondern eine Eskalation der Aktivitäten Chinas auf allen Ebenen geben.

China will gezielt zur Weltmacht Nummer eins aufsteigen. Mit der neuen Seidenstrasse und der Initiative «One Belt, One Road» will China dank Investitionen von 1000 Milliarden Dollar nicht nur ein globales Infrastrukturnetz zur Sicherung eigener Absatzmärkte bauen. Es geht auch darum, den chinesischen Einfluss in zahllosen Staaten zu festigen. Der Slogan dazu, «To Make the World a Better Place», meint selbstredend, die Welt für China zu einem besseren Ort zu machen. Und der internationale Aufstieg Chinas hat erst begonnen. In den nächsten Jahren wird es nicht eine konstante Entwicklung, sondern eine Eskalation der Aktivitäten Chinas auf allen Ebenen geben.

Wer mit China zu tun hat, hat es mit dem Zentralstaat und einer Strategie zu tun. So sieht der dreizehnte Fünfjahresplan für 2016 bis 2020 im Bereich Wissenschaft und Innovation vor, dass der Anteil der Bevölkerung mit überdurchschnittlichem wissenschaftlichem Know-how von 6,2 auf 10 Prozent steigen soll. Diese 140 Millionen Menschen folgen strategischen Vorgaben Chinas. Wer mit Chinesen verhandelt, weiss um die konsequente Verzahnung von individuellen Aktivitäten und übergeordneten Interessen. Westliche Verhandlungspositionen haben hier kaum Chancen, weil nicht koordiniert agiert wird.

Die chinesisch-schweizerischen Beziehungen sind für beide Seiten wichtig. Mit dem Freihandelsabkommen und der strategischen Partnerschaft im Bereich Innovation hat die Schweiz in einem limitierten Zeitrahmen eine Ausnahmestellung. Die Schweiz geniesst in China nicht nur bezüglich der Qualität von Schweizer Produkten, sondern u. a. auch wegen ihres Bildungssystems ein hohes Ansehen. Öffentlichkeit und Politik der Schweiz nutzen diese Chancen aber nur mit punktuellen Aktivitäten, die die Position der Schweiz nicht stärken.

Hinschauen, aufwachen, handeln

Ein paar Beispiele: Sechzehn Schweizer Städte und Kantone unterhalten Abkommen mit chinesischen Provinzen. Ein Austausch untereinander im Sinne von «Best Practice» findet nicht statt. Einzelne Parlamentarier denken über die Verschärfung des Aktienrechts mit Blick auf chinesische Investitionen in der Schweiz nach. Aber eine notwendige breite Debatte über die Frage, was die Schweiz in und mit China will, fand bisher nicht statt. Viele der Schweizer Firmen machen in China durchzogene Erfahrungen. Der Markteintritt ist nach wie vor eine Herkulesaufgabe. Aber: Ein systematischer Informationsaustausch untereinander fehlt. Als Kleinstaat können wir uns das nicht leisten.

Fazit: China ist nicht nur mächtig, sondern auch zielstrebig. Die Schweiz muss sich darum mit China auseinandersetzen. Dazu braucht es nicht nur guten Willen, sondern dieselbe Zielstrebigkeit und das gleiche Selbstbewusstsein wie in China. Ich plädiere deshalb für einen regelmässigen China-Round-Table aller relevanten Akteure in der Schweiz, für die Erarbeitung einer Liste von unverkäuflichen Ressourcen der Schweiz sowie einer China-Strategie des Bundes. Mit andern Worten: Statt uns halbherzig und unkoordiniert mit China auseinanderzusetzen, müssen wir hinschauen, aufwachen und handeln.

Ruedi Nützi ist Direktor der Hochschule für Wirtschaft der Fachhochschule Nordwestschweiz. Er war Mitglied der Delegation von Bundesrat Schneider-Ammann beim Staatsbesuch in Peking im April 2016 und ist Träger des Friendship Award, der höchsten Auszeichnung Chinas an ausländische Experten.


Quelle: https://www.nzz.ch/meinung/die-schweiz-braucht-dringend-eine-china-strategie-ld.1341613?from=groupmessage&isappinstalled=0