Früher war Armut, heute gibt es Möglichkeiten. Früher war Hunger. Heute ist voller Bauch. Früher war Handarbeit. Morgen gibt es Roboter. Und Armut kann auch gut sein. Wenn sie stark macht.
Luo, 46 Jahre, Robotikmann
An dem Tag, an dem wir Luo treffen, nagt buchstäblich der Unglückswurm an unserem Weg. Erst erreicht uns morgens die kurzfristige Absage eines reichen Geschäftsmannes und frisst uns ein riesiges Loch in den Terminplan, dann verläuft unser Alternativprogramm, ein Ausflug zu einer weit im Norden gelegenen Künstlerkolonie, in einer vierstündigen Irrfahrt im Sande, da wir in einen falschen Anschlussbus steigen, der sich nach kurzer Zeit als ein Fernbus ohne Zwischenstopp herausstellt, …dann, zurück von Nichts als Fahren, winken wir einem Taxi, um wenigstens noch pünktlich zum abendlichen Interview zu gelangen.
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Leider jedoch hockt in dem Taxi, könnte man sagen, ein Taxifahrer-Double… der zwar Auto fahren kann, aber weiter keine Straßenkenntnis besitzt, denn er fährt das Taxi eines Freundes und ist wohl auch kein Taxifahrer… was wir aber erst bemerken als dieser uns irgendwo an einer Straßenecke unter der Vorgabe am Ziel zu sein absetzt. Ohne es freilich zu sein. Was wir ebenfalls zu spät bemerken. Und leider ist gerade Rushhour und nicht nur die Straße, auch die Taxi-App quasi verstopft und erst nach einer halben Stunde erweist sich ein neuerlicher Taxifahrer als gnädig, nimmt uns mit und hört wiederum nicht auf zu fahren. Mannonmann!
Shasha gibt inzwischen Luo, der bereits auf uns wartet, Bescheid, was uns sehr peinlich ist, aber Luo nicht weiter ärgert. Zum Glück. Er beschäftigt sich. Als wir dann doch noch endlich und hungrig ankommen, finden wir ihn in einem Café, vertieft in seiner Arbeit, bzw. vertieft in sein Handy, also chattend, eine Angelegenheit, mit der er auch während des Interviews nicht aufhören wird. Denn der Tag bleibt verflixt. Luo, den wir den Roboticmann nennen, ist 46 Jahre alt, trägt ein weißes lässiges T-Shirt und strömt doch aus jeder Pore Dauerbusiness aus. Er ist unter Strom und das Interview verhält sich wie das Künstlerdorf, es verläuft irgendwo dort, wo wir nicht sind. …
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Was mich betrifft, ich bin sogar sicher, denn während des gesamten Interviews blickt mich Luo nicht einmal an. Auf Shashas Fragen antwortet er rasch, ferngesteuert, man merkt, auf Businessfragen getrimmt, und in den Momenten, da Shasha mir übersetzt chattet er direkt und zeitgleich auf WeChat. Diese Unhöflichkeit verstärkt das Hungergefühl in unserem Bauch und wir wollen schnell fertig werden, sind kurzzeitig noch der Hoffnung, dass es eine freundliche und aufmerksamere Wendung geben wird. Gibt es aber nicht. Daher jetzt schnell zu Luo, denn der hat ja ganz offenbar anderes zu tun, Zeit ist Geld. Los los!
„Ich bin in einem sehr armen Dorf in Sezuan (Sichuan) geboren“, sagt dieser auch sogleich. „Wir haben gehungert. Und um da rauszukommen gab es nur zwei Möglichkeiten. Möglichkeit eins: Armee. Möglichkeit zwei: Studieren.“ Luo war auf einem Gymnasium, daher war sein Joker das Studium. In Chengdu studierte er Journalismus und arbeitete nach dem Studium zehn Jahre als Leiter eines Büros bei einer überregionalen Zeitung, die sich mit der Chinesischen Reform auseinandersetzte. 2004 kam er nach Peking und seine Arbeit begann sich zu verändern. „Made in China war bekannt“, sagt Luo, „aber es hatte ein schlechtes Image.“ Das zu ändern, war sein neues Ziel.
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Nach zweijähriger Arbeit und zahlreichen Artikeln, welche die Industrie analysierte, gründete er einen Verein mit dem Namen „Asian manufacturing association“, eine Plattform zum Austausch für asiatische und chinesische Unternehmer. Das Netzwerk wurde von Anfang an gut aufgenommen und er kann sagen: „In den letzten Jahren hat sich auch das Image gebessert.“ Die Abhängigkeit von der Industrialisierung wird in ein Prozess des Umdenkens gehen müssen, weiß er. Denn eines ist sicher: „In zehn Jahren werden die Rohstoffe aufgebraucht sein. Dann beginnt die Postindustrialisierung.“ Doch wie kann diese aussehen? Eine wichtige Frage und vor allem: „Was kann man da positiv bewegen?“ Luo begann nachzudenken.
Zunächst versuchte er es mit einem Engagement für Elektroautos. Das hat nicht so gezündet, lotste ihn aber 2012 weiter zu dem energieschonenden Verfahren des 3D-Drucks, das ihn sofort faszinierte und ihm fortan als Ausdruck der modernen Postindustrialisierung galt. Er analysierte die Branche auf der ganzen Welt, sah, dass sie zwar weit fortgeschritten, aber nicht gut verbreitet war, rief eine Allianz ins Leben, eine Plattform und Netzwerk für internationalen Austausch, was wieder schnell auf Interesse stieß, lud bereits 2013 zur ersten internationalen Konferenz von Experten ein, hielt Vorträge, gab Kurse, schrieb Artikel, 2014 auch ein Buch über 3D-Druck und gründete endlich einen Konzern in Qingdao mit einer Dependance in Peking. Sieben Abteilungen, Forschung, Online-Plattformen, auf denen er Produkte verkauft, Lehrwerke, Nachwuchsförderung…
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Doch auch aus dieser Thematik erwuchs 2015 eine neue, weitere: die Robotik. Und wieder gründete er eine internationale Allianz, auch München ist mit dabei, viele hochrangige Universitäten und wieder schrieb er ein Buch, Der Roboter Mensch, Robotik 2.0 „Ich bin der erste, der diesen Begriff analysiert hat“, sagt er und sieht hier eine große, noch offen zu begehende Zukunft vor sich, die bislang noch in den Kinderschuhen steckt. „Vor allem in China ist die Robotik noch sehr rückständig. Es ist viel Technik da, aber wenig Anwendung.“
Das voranzutreiben reizt ihn. Künstliche Intelligenz, einen eigenen Roboter zu haben, reizt ihn. Der sichere Spielraum des Erfolges reizt ihn. „Robotik bietet uns Unterstützung und Erleichterung“, findet Luo. „Man muss weg von der arbeitsintensiven hin zur kapitalintensiven Produktion.“ Daran arbeitet er auf Hochtouren und macht bereits jetzt mit seiner Firma einen Jahresumsatz von über 20-30 Millionen Yuan und will den USA und Japan bald die Stirn bieten. „Sie sind bislang die Marktführer in der Robotik“, sagt Luo. Zumindest bis er kommt, und wenn alles klappt, das ist obligatorisch wird seine Firma in drei, vier Jahren an die Börse gehen. So der Plan. Luo möchte etwas schaffen, bewegen, verwirklichen, eine Blume sein, die gerade blüht, positiv gestimmt, mit einem halb vollen Glas. Und selbstbewusst.
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Warum auch nicht? Er sagt: „Früher war in der Armut alles beschränkt. Jetzt habe ich Möglichkeiten. Das ist mein Glück.“ Die Schwierigkeiten, die es nach Verlassen seiner Heimat galt zu überwinden, seien jedoch im Vergleich hierzu nichts. Armut kann eben auch stärken. Wenn man sie am Kragen packt. Mehr gibts dazu nicht zu sagen. Mehr will Luo nicht sagen. Der tägliche harte Kampf um die Zukunft lässt keine Zeit über. Jetzt schnell ein Photo machen, das froher aussieht, als wir uns fühlen, und ehe wir uns versehen, schnappt er sich eilig sein Handy und rennt einfach davon. Verblüfft bleiben wir sitzen. Was ein Tag.
Simone Harre, 1971 in Freiburg geboren, lebt als zweifache Mutter und prämierte Autorin in Brühl. Als sie 2014 zum ersten Mal nach China reist, erkennt sie, dass sie alles, was sie zuvor über die Volksrepublik gedacht hat, revidieren muss. Sie geht auf die Suche nach dem »wahren« China. Fünf Jahre lang spricht sie mit Chinesen aller Schichten und bekommt einen tiefen und seltenen Einblick in das Leben der Menschen hinter der Kulisse.
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