Ein positiveres, authentischeres Chinabild zu schaffen, das ist Wang Xins Wunsch und Arbeit seit dreißig Jahren. Ebenfalls wichtig die Frage: Wie kann China gesund und richtig mit der Globalisierung umgehen und gleichzeitig die altehrwürdige Geschichte des Landes in sich bewahren?
Wang Xin, 54 Jahre, der Globalisierungsmann
Sechs Jahre hat er in Kalifornien gelebt, mehr aus Zufall, -„ein anderer hat das Visum nicht bekommen, aber ich…“- und hat dort als Präsident des Sino Media-Verlages versucht, klassische chinesische Gedanken zu veröffentlichen. Zur Vermarktung seines eigenen Buches zu diesem Thema war er auf Veranstaltungen und dort wurde er von einem Think Tank angeheuert. „Alles hat sich gefügt“, sagt Wang Xin, der eigentlich Chemie studiert hat, das jedoch abbrach und mit einem Cross culture communication-Studium weitermachte.
(这张做德文版的头图)
„Mein Leben ist wie ein Taxi. Ich bin der Fahrer und die Einsteigenden sagen, wo es hin geht.“
Der Zufall, so empfindet er es, hat sein Leben bestimmt. Oder anders gesagt: „Die unbewusste taoistische Grundhaltung, die allen Chinesen zuneigen ist.“ Der Weg ist das Ziel. „Auf jeden Fall ist alles einfach passiert und erst am Ende habe ich gesehen, wo ich bin.“ Jetzt gerade ist er an einem späten Nachmittag gemeinsam mit uns in der berühmten Einkaufsmeile Pekings auf einen Kaffee und checkt uns ab.
Er zeigt sich aufgrund unserer vielen Nachfragen anfangs etwas pikiert darüber, dass ich seinen Lebenslauf auf LinkedIn nicht gelesen habe. Was ich niemals tue. Aus Prinzip. Ich will es hören, nicht lesen. Mir keine Vorstellung machen. Dass er meinen Lebenslauf gleichfalls nicht gelesen hat, fällt ihm bei diesem Vorwurf nicht ein.
Aber eigentlich ist er ein ganz prima, lockerer und intelligenter Kerl. Und wir haben im Verlauf des Abends bei Feuertopf und Bier noch sehr viel Spaß mit ihm. Wir nennen ihn den Globalisierungsmann, weil wir allen Chinesen einen eigenen Namen geben und freilich, weil sein Thema die Globalisierung ist. Er ist Vater einer 21jährigen Tochter, ist in der Nähe von Peking geboren und nun in Peking lebend.
Seit geraumer Zeit arbeitet er bei einer chinesischen, gemeinnützigen und privaten Denkfabrik, also einem Institut, das per Definition mit jeweils unterschiedlichen Auslegungen durch Entwicklung, Erforschung und Bewertung von politischen, sozialen und wirtschaftlichen Konzepten und Strategien Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung nimmt und international über Forschungsergebnisse diskutiert. Ein Think Tank.
Der Begriff Think Tank entstand während des zweiten Weltkrieges und galt als ein abhörsicherer Ort (tank), an dem zivile und militärische Experten an militärischen Strategien arbeiteten. Erst ab den 1960ern entwickelten sich daraus praxisorientierte Forschungsinstitutionen auch außerhalb der Sicherheitspolitik. Und ein solches gibt es eben auch in Peking mit Wang Xin als Vizepräsident.
Sein Aufgabenbereich ist vielfältig. Er kümmert sich um Arbeitsbedingungen von Ausländern oder organisiert Vorträge, lässt Experten über Trump reden, hält selbst Vorträge, initiiert internationale Projekte, lehnt diese ab oder guckt sich an: „Wie sind die chinesischen Firmen in der ganzen Welt aktiv.“ Die Auswertung der Daten gehen dann an die Regierung. Am liebsten mag er Projekte, die etwas bewirken, klar: „Zum Beispiel über die Zusammenarbeit mit Amerika beraten.“ Denn ob man will oder nicht: „Amerika ist wichtig.“
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Und wie die sich entwickelt, da wartet man ab, guckt erstmal zu, erklärt Wang Xin. Er ist wirklich ein rundum entspannter, fröhlicher… man könnte fast sagen, erwachsener Lausbub, der seine eigene Sicht auf die Dinge hat. Als Vermittler zwischen den Welten und durch die Auseinandersetzung mit globalen Ideen kann er über den Tellerrand schauen und denken. Sein Antrieb und roter Faden im Leben ist dabei aber immer der Wunsch, die Kultur Chinas nach außen adäquat zu vermitteln.
„Denn China hat viel Geschichte zu zeigen. Das zu vermitteln ist wichtig. Nicht jede Kultur hat das, nur leider wird China so oft aus Unkenntnis falsch verstanden und das Medienbild ist miserabel.“
Aber er findet auch: „Daran ist China wiederum selbst schuld.“ Denn, so Wang Xin, „China ist nicht liberal, schottet sich ab und wirkt auf das Ausland kleinlich und zensierend.“ Doch wenn man den Blick tiefer, also in die Geschichte Chinas gleiten ließe, so sähe das schon anders aus: „China ist der Ursprung der Aufnahme vieler fremder Kulturen.“ All die Minderheiten, die über Jahrhunderte aus den umliegenden Gebieten eingewandert sind, sie hat das Riesenreich ja aufgenommen. Von den Mongolen ganz zu schweigen. „Später drangen dann die Kolonialmächte ein. Nun die Globalisierung.“ Und auch die, obgleich sie Geld bringt, gilt vielen Chinesen als Eindringling und weitere Gefährdung des inneren Gleichgewichts.
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Das Gefühl, sich, Land, Kultur, schützen zu müssen, ist uralt. Eine ererbte Paranoia? Doch muss man sich wirklich schützen und wenn wie und was? Das sind so die Fragen, die Wang Xin umtreiben. Seit drei Jahrzehnten feilt er an einem positiveren Chinaimage. Er liebt es mit seinen Projekten zu bewegen. „Hat aber nicht in großem Maße geklappt“, muss er zugeben und fördert heute deshalb gezielt den Nachwuchs. Vielleicht wird dieser mehr Kraft entfalten.
Das ist der Beruf und im Alltag? „Mein Glück ist ein natürliches, einfaches Leben. Ich habe einen geregelten Alltag und ein mittelmäßiges Gehalt, 300.000 Yuan im Jahr. Das reicht mir.“ Das Rezept ist einfach:
„A simple life ist happiness… Aber natürlich kann man nicht jeden Tag glücklich sein.“
In China gibt es einen Spruch: „Mit 50 weiß man wie das Schicksal ist.“ Man kommt im Geist zur Ruhe. Soweit ist Wang Xin schon mal. Angst hat er vor nichts mehr. „Es darf nur keinen Krieg mehr geben. Die normalen Menschen leiden ja am meisten darunter.“ Und was er sich von China in der Zukunft erhofft? „Change such a Big Country is hard. Step by step is right.“
Dann überlegt er sich, wie alt ich wohl bin… er liegt richtig und ergänzt: „Du siehst zwar jünger aus, aber wer sich mit der chinesischen Kultur beschäftigt, kann nicht viel jünger sein.“
Simone Harre(西蒙•哈尔)
作者:Simone Harre(西蒙·哈尔),德国人文学者,作家,为报刊撰写人物传记和文章,亦创作小说。她曾在德国和中国分别花费五年时间向人们询问对幸福的定义,并把她2014年以来在中国的访谈在德国结集出版。经她本人授权,“中德人文交流”公众号对访谈集进行选译连载,译文视情况略有删改。本系列图片与视频均由作者提供。
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