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Der Traum des Chefkochs | China wer bist du

发布时间:2021-01-14浏览次数:54

Essen macht die Chinesen glücklich, ganz klar… auch Kochen?

Eine Frage an einen Chefkoch. DEN Chefkoch. Doch: „Ähhh…!

M, 44 Jahre, Chefkoch eines Luxushotels in Shanghai

Neben der Jagd nach Geld und Prestige gibt es noch eine Sache, die in China absolut und immer präsent und dominant ist, genau genommen ist sie sogar die Wichtigste: das Essen! Essen in allen Farben und Geschmacksvarianten und immer großartig, egal ob am noblen, runden Tisch oder am Wegesrand.

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Und so denke ich eines Tages, im Auto sitzend, sinnierend, und auf dem Weg nach Shanghai: Wenn Liebe durch den Magen geht, -wie man in Deutschland sagt-, dann muss China eigentlich… eine einzige jauchzende Liebeserklärung sein! Und dann müssten die Köche folglich… wow, also das will ich genau wissen und ich sage: „Ich will einen Koch.“ Kurz darauf finde ich einen. Einen ganz besonderen: M, den Chefkoch des sehr exklusiven und sehr berühmten Hotels in Shanghai.

Es ist Vormittag. Erste Arbeit ist erledigt. Er hat kurz Zeit. Wir nehmen Platz in einer oberen Etage des Hauses in opulenter Sofagarnitur und ich stelle direkt die Kernfrage: „Macht das Kochen den Chefkoch glücklich?“ Natürlich blicke ich M erwartungsfroh an. Na? Aber M, vierundvierzig Jahre alt, ganz in Kochweiß gehüllt und gespickt mit einem riesigen langen Kochhut, bleibt beunruhigend regungslos und ungerührt angesichts dieser ultimativen Frage.

Endlich öffnet er den Mund. Er zögert. „Inzwischen… ja…“ Was? Ja… gefalle es ihm. Inzwischen? Mann, so hatte ich mir das nicht vorgestellt! Wenigstens aber bestätigt John, dass nicht die Technik einen guten Koch ausmache, sondern das Herz, aber aus Liebe zur Kochkunst habe er diesen Beruf tatsächlich nicht gewählt. Warum dann? M sagt: „Ganz einfach. Ich wollte möglichst früh Geld verdienen. Ich wollte ins Ausland reisen können. Und Ende der Achtziger waren Köche gefragt.“ Deshalb wurde er Koch.

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Oh. Ich brauche eine Weile, um zu akzeptieren, dass selbst dort das Kapital die Leidenschaft ersetzt, wo es doch um Genuss geht. Dabei, ich hätte damit rechnen müssen. China ist eben pragmatisch. Und M war es auch. Anfangs hat er in vielen unterschiedlichen Restaurants gearbeitet, erzählt er. Häufig musste er Schlange zubereiten, am liebsten isst er Meeresfrüchte, am wenigsten schätzt er die westliche Küche. Er macht sich nicht viel Gedanken über die Gäste, aber er mag es auch nicht, wenn sie ihre Teller voll füllen und dann nicht aufessen. „Verschwendung ist traurig.“ Besonders Chinesen neigen dazu, findet er. „Die Deutschen sind besser erzogen.“  

Und M liebt die Korrektheit. Er mag auch Barock, hat viel Nietzsche gelesen, hört Chopin und schaut gerne amerikanische Serien, wie zum Beispiel house of cards. Geschichten von Menschen, die hart arbeiten und etwas durch eigene Kraft erreichen. So wie er. Das sieht er gerne. Offiziell braucht er hier erst um zehn anzufangen, er kommt aber immer schon um 7.30 Uhr. „Es gibt jeden Tag viel zu planen“, sagt M.

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Er ist der Sohn eines Chemieingenieurs und stolz darauf, dass er seine Karriere ganz alleine aufgebaut hat. „Nie durch Geld, nie durch Beziehungen, nur durch Fleiß.“ Und ja, er hat es weit gebracht in seinem Beruf, immerhin ist er hier, in DIESEM Hotel, ein exklusiver Jugendstil-Fünfsterne-Palast der ancient time, ein Haus, durch das zuweilen gatsbyfeiersüchtige Upperclasstouristen in Zwanzigerjahregarderobe rauschen und dann in einen Megaoldtimer spektakulär davon rauschen…

Aber nochmal, sagt M, würde er nicht Koch werden wollen. „Man hat sehr viel Druck in dieser Branche.“ Mit Leidenschaft hat das in Wirklichkeit wenig zu tun. Nur was wäre es dann…? Er weiß es nicht und zuckt mit den Schultern. „Schriftsteller vielleicht?“ Er hat einen Traum:

Darin habe ich ein Haus und einen Hund, ich schreibe und niemand stört mich.“

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Vielleicht schreibt er Geschichten, die er im Hotel erlebt hat. Jedenfalls: An diesem Traum arbeitet er bereits ganz konkret. „In zehn Jahren höre ich auf“, erklärt er. „Dann mache ich ein kleines Hotel auf in einer Villa in der Nähe von Shanghai. 100 km entfernt, eine interessante Gegend mit Altstadt.“ Das Haus hat er schon. Das Geld auch, weil er einer der ersten war, der Aktien und Immobilien spekuliert hat.

Inzwischen ist er im Hotel weniger mit der Küche als vielmehr mit der Verwaltung betraut. Und in der Verwaltung möchte er erreichen, dass das Gute des Essens human und mit Liebe weitergereicht werden kann. „Das Personal soll wissen, dass ich auf es aufpasse und es achte.“ Aber der Beruf ist einfach nicht sein Leben. Daheim erzählt er nichts von der Arbeit. „Man muss Freizeit haben, Zeit für Freunde und Familie.“ Und da gehört der Alltag der Arbeit nicht hin.

Am liebsten liest er in seiner Freizeit Kochbücher oder Wirtschaftsbücher. Er hat auch eine Tochter, die ist siebzehn und sie soll ihren Neigungen folgen. Darin will er sie unterstützen. Er denkt dabei an seine Heimat. „Ich hatte eine schöne Kindheit“, sagt er, „es gab noch keine Umweltverschmutzung und wir konnten den Sternenhimmel sehen.“  

So ist das mit M, dem Koch. Und wie ist es mit seinem Glück? John überlegt. Dann sagt er:

Mein Glück ist, dass ich immer Neues erfahren möchte. Dass ich einen Plan fürs Leben habe.“ Und auch: „Wenn ich in Deutschland mit meinem Auto Vollgas fahren kann.“


Simone Harre, 1971 in Freiburg geboren, lebt als zweifache Mutter und prämierte Autorin in Brühl. Als sie 2014 zum ersten Mal nach China reist, erkennt sie, dass sie alles, was sie zuvor über die Volksrepublik gedacht hat, revidieren muss. Sie geht auf die Suche nach dem »wahren« China. Fünf Jahre lang spricht sie mit Chinesen aller Schichten und bekommt einen tiefen und seltenen Einblick in das Leben der Menschen hinter der Kulisse.


https://simoneharre.com/