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Ein Tag mit dem Bartmann I | China wer bist du

发布时间:2021-03-11浏览次数:31

... der Bartmann! Einst Millionär und Fachmann der IT-Branche, heute Flötenspieler und Schweinezüchter, einst nur dem Geld hinterher jagend und ein „Rädchen im Getriebe“, heute kein Rädchen mehr, frei von gesellschaftlichen Zwängen und immer beschwingt im Kreis und Leben gehend, eng an der Natur lebend, eng auch am alten China, der geistigen Tiefe auf der Spur, das ist Bartmann. Und will jemand wissen, wie es sich konkret mit dem Glück verhält, nur zu: Bartmann weiß alles... Alles? Alles.

 

Herr Gu Shusheng klingt förmlich, so habe ich ihn auch noch nie genannt, aber so steht es in meinen Notizen. Kennengelernt haben wir den Mann mit der explosiven Stimme neben anderen Personen des spirituellen Verweilens in einer Taichi-Kommune, die bemüht darum ist, alte chinesische Künste wiederzubeleben und zu fördern. Taichi, Kungfu, historische Musikinstrumente oder das Räucherhandwerk… diese Dinge… und während die Kommune dies konzentriert tat, uns zeigte, ging Herr Gu Shusheng nebst erbaulicher Körperübungen, die er uns ebenfalls vorführte, gerne beschwingt bis rückwärts und wusste auch sonst, was alles gesund ist.

 

Anfangs nannten wir ihn noch Hacker, -der Hacker-, weil er sich als solcher vorstellte und mit diesem Job in seiner Vergangenheit millionenschwer wurde, doch bald schon war er für uns nur noch Bartmann, – der Bartmann -, und wir machten uns heimlich über seinen taoistisch anmutenden Fusselflaum lustig, der ihm bedeutungsschwer und luftigflaumig von denSchläfen, die Wangen entlang und das Kinn seitlich herab spross, und offenbar ein sehr illustratives Zeichen seines neuen Lebensstils darstellen sollte, jetzt, heute, da er kein skrupelloser Millionär und Digital-Robin Hood mehr ist, sondern nur noch glühender Adept altchinesischer Tugenden in traditionellem Gewande.

 

Mit der Moral seiner zurückliegenden Arbeit hat er kein Problem. Solange er nur ethisch einwandfrei böse Firmen knackt und hackt, ist alles gut, findet er. Leider oder zum Glück konnte er trotz dieser moralisierenden Rechtfertigung seine Tätigkeit irgendwann nur noch als Zeitverschwendung empfinden. Vor allem aber war er es leid, leichte Mädchen für Geschäftspartner zu ordern und üppige Dinner abzufeiern. Das musste sich ändern. Und es änderte sich. Heute ist Bartmann nur noch legerer Land-Luftikus, Bauernhofbesitzer und Schweinezüchter.

 

Das ist der bessere Weg. Denn: „Man braucht kein Geld“, postuliert er.  … schön, sage ich, aber: Gar keines? „Keines.“ Bartmannsieht mich streng und mitleidig ob meiner Nachfrage an. Und unterschlägt seine Lebensfinanzierung. Das von ihm bewegte Qi kann, so denke ich, allein auch ihn nicht satt machen. Tatsächlich aber schwebt er schon irgendwie durch Zeit und Tag, hat das Leben absolut begriffen, auch dessen Sinn, und verschickt auf WeChat gerne Bilder, wie er auf einsamen, stillen Felsen hockt und wahlweise chinesische Flöte spielt oder versunken meditiert. Frei ist, wer Entscheidungen treffen und jederzeit flöten kann. So gesehen.

 

„Erst Schicksal, dann Glück, dann Fengshui. Und dann gibt es nur noch einen kleinen Spielraum, den man selbst bestimmen kann.“

 

So Bartmanns Theorie. Am Schicksal kann man nichts ändern. Am Glück schon. Jedenfalls: Von nun an hält er den gesetzten Begrenzungen und Determinierungen des Alltags souverän dagegen.

 

Seinen eigentlichen Namen, den ich, wie gesagt, noch nie benutzt habe, finde ich nun, da ich ihn hier immer wieder schreibe, doch nicht so übel. Literarisch betrachtet. Herr Gu Shusheng. Aber das liegt wohl daran, dass dieser chinesische Aussteiger mittleren Alters eben gar nicht wie ein Herr aussieht und auch, weil er lauter und schneller redet als etwa das Tonniveau eines brummenden Zeltes des Münchner Oktoberfestes hergeben könnte, gerade so als müsste seine Zunge ein schallendes Trommelblech zum Takt altchinesischerWeisheiten schlagen. Möglich zwar, dass Herr Gu Shusheng damit hin und wieder einfach nur die Felsenstille vertreiben möchte.

  

  

Wahrscheinlicher aber ist, -… das will ich nicht ausschließen,-  dass er das alte China samt westlicher Philosophien selbst erfunden hat, also hypothetisch, und dann könnte es sein, dass er sogar die verflixte Formel für die Unsterblichkeit gefunden hat. Nämlich in sichdrin. Wo Glück ja gemeinhin ist. Kann sein. Und wer würde dann noch annehmen, dass das eruptiv, hackende Sprechvermögen einfach nur eine Verlagerung des Ex-Jobs als Hacker auf die gewandelte spirituelle Persönlichkeitsstruktur ist oder die Männer in und um Peking herum einfach so sind oder … ach, ich weiß auch nicht, würde mich aber schon gerne mit Bartmann in den Ring der Dialektikschmeißen und hier und da widersprechen.

 

Doch das ist schwierig, kann ich doch immer noch kein Chinesisch und Bartmann nur einen einzigen englischen Satz: „What are you feeling?“ Was gerade mal für ein „good“ und den Ausstoßeines Kicherns reicht. Andererseits: Gehen nicht alle Gedanken und Worte indiesem einen einzigen, wichtigen Satz auf? Ja, Bartmann ist, er weiß es jaschon, ein Philosoph. Und ob laut oder nicht, ich mag ihn. Und Bartmann mag es,wenn ich ihm manchmal an seinem fusseligen Bart zupfe, von dem er, wie erbeteuert, sich jederzeit trennen könnte. Aber das glaube ich ihm nicht, auchnicht das Glück seines Lebens, das mir zu sehr wie eine künstliche Sehnsuchtskulisse und gar nicht so intellektuell abgeschlossen erscheint wie ihm selbst.

 

Nachdem wir schon ein halbes Jahr zuvor mit ihm quasizwei Tage verbracht hatten, zu Gast in der Kommune, zu Gast bei seinem sehr armen Onkel in einem sehr armen Dorf, und auf einem nicht renoviertem Stück chinesischer Mauer in der Hebei Provinz, das wir bei heftigem Sturm und Steilhang nur mit Mühe erlaufen, und nur in Kreisbewegung besteigen durften, –„denn alles ist ein Kreis- “,  kam ich auf die Idee, ihn um einen weiteren Tag zu bitten. Selbst aufgewachsen in einem jener armen Dörfer, müsste er die Siedlungen auf dem Land von Peking gut kennen, so meine Vermutung. Ich ersann daher die sonst schwierigen und weiten Wege von Dorf zu Dorf mittels seines Autos und seiner Ortskenntnis zu bewältigen. Vor allem aber wollte ich in dashistorische, westlich von Peking im Bezirk Mentougougelegene Dorf Cuandixia, dass ich an den Longtou Bergschmiegt und aus der Mingzeit original erhalten ist. Soweit der Reiseführer.

 

„Yes, I´m free“, war die Antwort von Bartmann und der Tagin unserem Terminkalender für ihn geblockt. Er vergisst sein Versprechen auch nicht und holt uns am Tag des Ausflugs von einer U-Bahn-Station ab. Die Fahrtim Verlaufe ist endlos. In Peking oder auf dem Land von Peking sind Maßstäbe, die sprengen wenig spirituell Raum und Zeit. Zweieinhalb Stunden fahren wir. Doch es lohnt sich. Ich staune und genieße die Fahrt in die Berge hinein. Eine phantastische Landschaft. Shashaindes leidet sehr. Es muss sehr anstrengend für sie sein. Also sehr laut. Und mit spirituellen Themen hat sie es nicht so. Hauptsächlich sehe ich sie nicken. Manchmal nur teilt sie mir etwas mit.

 

Ich bin derweil gespannt, ob sich diese weite Fahrt tatsächlich lohnen wird, denn das Dorf gilt zwar als Attraktion, doch auch als touristisch. Auch frage ich mich, ob es mir gelingen möge, die ein oder anderen Bauern zu einem Gespräch zu bringen. Doch weder gelingt es dem Dorf, mich richtig zu beeindrucken, obgleich seine eng stehenden Steinhäuser wirklich sehr alt ehrwürdig sind, noch finde ich überhaupt Menschen, und noch weniger solche, die auf Äckern arbeiten und mit mir reden wollen. Ich finde gar keinen. Fast keinen. Das Dorf ist wie eine Kugel und esscheint, als wollten sich deren durchaus belebten sechsundsiebzigtraditionell-chinesische Hofhäuser ineinander verkeilen, um sich so gegen die Winterkälte oder den Feind oder heute gegen den Touristen zu wappnen.

  

  

In dem Fall gegen mich. Man zahlt Eintritt, läuft vorbei an Kunstschülern, welche die ancient City auf Leinwand bannen, umrundet das Häuserknäuel mittels eines höher gelegenen Pfades und bewundert die Vielzahl an Schnitzereien und Verzierungen in Stein und Holzund aus Farbe, bestaunt die Geisterwände und die kleinen taoistischen Kobolde und freut sich, dass die glühenden Kommunisten ihrerzeit dieses Dorf, das nach Regeln des Fengshui gebaut und gestaltet ist, tatsächlich übersehen haben und es daherunversehrt ließen. Doch letztlich ist mir alles zu museenhaft. Lieber wäre mirein altes, herunter gekommenes Dorf, eines, wie das von Bartmanns Onkel, das kurz vorm Abriss steht, aber eben noch da ist… eines, in dem Menschen leben, die, von Hunger geplagt, heimlich Wildschweine in den Bergen jagen und dann gemeinsam nach Hause schleifen. Ein Dorf mit Leben und Geschichten.

  

Und der Tag muss ja noch weitergehen. Wohin jetzt? Bartmann überlegt, ruft schließlich einen Freund an… Nickt. Wir haben ein Ziel. „Gilt als schönstes Dorf Chinas", sagt er. Na dann. Ich bin gespannt.

 

Shasha hat in den vergangenen Stunden ausreichend Vertrauen gewonnen, so dass des Bartmanns Lebensgeschichte sich allmählich immer mehr verdichtet. Ähnlich wie bei einer Zwiebel. Haut für Haut. Von allgemeinen bis falschen Aussagen hin zu differenzierteren, ehrlichen Wahrheiten. So erfahren wir zum Beispiel, dass die berufliche Laufbahn Bartmanns 2001 in einer Cyberfirma damit begann, Firmensoftware auf Sicherheitslücken zu prüfen. „Dafür muss man wissen, wie Hacker vorgehen“, erklärt er. Als angestellter IT-Ingenieur verdiente er sehr gut. Nach vierJahren und immer wieder Gehaltserhöhungen, Überstunden und wenig Zeit wechselte er zu einer kleineren Firma als technischer Leiter. Zeit hatte er nun mehr, auch mehr Mut und gründete zeitgleich gemeinsam mit Freunden eine eigene Firma, welche schnell Millionenumsätze machte und Bartmanns Gehalt verdoppeln konnte. Er sagt:

 

„Der anfängliche Erfolg hat mich erfüllt, doch ich wurde gierig. Ich wollte immer mehr haben.“

 

Er sparte, kaufte Aktien, vernetzte sich gewinnbringend, wusste hohe Beamte zu schmieren und lebte auf großen Füßen. Er sagt: „Für ein Abendessen 20.000 Yuan auszugeben war normal!“ Wer Geld verdienen will, muss spendabel sein. Heißt: „Für große Projekte muss man eine Million auf der Seite haben.“ Keine Bars oder Karaoke, nein, das ist „unteres Niveau“. Einfach jeden Tag üppig essen gehen und die schon erwähnten, jungen Begleiterinnen den Beamten zuführen. „Das ist so in dem Business.“ Und wenn es gut läuft, rollt es von alleine immer weiter. „Ein Projekt stachelt das nächste an!“ Wie bei ihm. Solange, bis was schief geht. Wie bei ihm. „Es war ein Schock für mich“, sagt Bartmann. Er verlor mit einem Schlag sehr viel Geld, doch immerhin: Er begann nachzudenken und wollte in Folge einige grundlegende Dinge in der Firma ändern. Die anderen durchaus nicht und so stieg er nach fünf Jahren einfach aus, bekam und bekommt aber als einstiger Gründer noch immer Geld.

 

Und so erklärt sich auch, wie er das macht: Von ohne Geld leben! Aussteigen in China kann nämlich nur der, der kann! Es ist auch nicht so, dass der Wandel sehr krass war, denn das Haus auf dem Land, das er heute hat, gab es schon. Das hat Bartmann zu einer Zeit finanziert als seine Firmanoch jung war und kapitalen Überschuss produzierte. Doch schon damals war eine Stadtflucht ein kostspieliges und populäres Vergnügen. Aber einen Hof haben und einen Hof bewirtschaften sind zweierlei. Zu jener Zeit war Bartmann ja noch Cyberman ohne Zeit und auch seine Eltern hatten wenig Lust auf seinen Hof, obgleich sie selbst Bauern waren. Noch weniger aber wollten sie, dass Fremde dort wohnen würden und zogen schlussendlich doch ein. „Ihr Gemüt war immer schlicht“, sagt Bartmann. „Ohne Gefühl für Tier und Umgebung! Einfach Leben. Einfach Schlachten.“

 

Auf dem Hof änderte sich das aber mit einem Mal und der Vater sagt nun plötzlich Dinge wie: „Guck mal, die Blume!“ Das freut den Sohn. Glück und Wandel in der ganzen Familie. Oder doch nicht ganz? Denn da sind noch Frau und Kind...  Frau und Kind? Aber wo sind die? Ganz einfach! Bartmann hat nicht nur den Job, sondern auch Frau und Kind entsorgt. Quasi. Mit denen war er nämlich nie glücklich. „Außer am Anfang!“, sagt er, nennt entschuldigend den Grund: „Liebe auf den ersten Blick!“ Und revidiert dies ein paar Sätze später… Shasha wird nun in ausführlichen Beschreibungen Zeuge einer ausgewachsenen, tragischen, chinesischen Soap-Opera, in der die Mutter seines Kindes die eigentliche große Liebe Bartmanns durchtrieben auszuschalten wusste, Bartmann in seinem Liebeskummer von dieser Raffinesse nichts bemerkte, nach der zweiten Wahlgriff, – eben jene Intrigantin-, diese schwängerte und der Form halber heiratete. Plan geglückt. Leider hat die Frau weder jemals die Erwartungen der Eltern noch die des Ehemannes erfüllt und fünf Jahre später kam es zur Scheidung. Der einzige, der bis heute nichts von den Wirren weiß, ist der inzwischen neunjährige Sohn. Für ihn scheint es nicht ungewöhnlich zu sein, dass hauptsächlich die Mama mit ihm lebt und, dass er den Papa so selten zu Gesicht bekommt.

  

  

„Das Leben ist voller Widersprüche und Wegkreuzungen“, kann Bartmann dazunursagen, „und Glück besteht darin, heraus zu finden, was da jedesmal das Besteist.“ Er selbst hat seine Wahl getroffen, – spirituelle Wege kann man nur alleine gehen, –  und offenbar lebt es sich mit dieser neuen Entscheidung sehr gut von den noch früheren Entscheidungen, den Aktien und den Erträgen seiner Firma. Seine Ex-Frau dagegen hat es nicht so glücklich erwischt. Sie ist depressiv und immer wieder muss er zu ihr und sie im richtigen Leben und Denken unterweisen, sie aufmuntern. So Bartmann. Die wahre Geschichte seiner großen Liebe, die ohne sein Wissen auf ihn gewartet hatte, kennt er heute. Er könnte diesen Faden aufgreifen. Aber das will er nicht. „Es ist vorbei.“ Derneue Lebensabschnitt ist da. Mit Hühnern, 100 Yuan-, und Schweinen, 5000 Yuandas Stück. Eigene Obst- und Gemüseernte… Und Freiheit.

 

„Wir sind alle kleine Rädchen und fühlen uns dennoch im Getriebe unersetzlich… Ich wollte kein Rädchen mehr sein. Glück ist die Freiheit, selbst zu entscheiden.“

 

Das hat er aus allem gelernt. Nur manchmal, das kann ich spüren, da fehlt etwas zu seinem Glück… die weibliche Berührung, ein Umstand, der sich einfach nicht spirituell sublimieren lässt. Doch in einer Gesellschaft Liebe, freie Liebe, zu finden, in der man mit Ende zwanzig verheiratet sein und ein Kind haben muss, ist das schwer. Und was Bartmann betrifft, ganz gleich, obmir seine leidenschaftliche Hinwendung zur Kultur des alten Chinas überzeugend erscheint oder nicht, er hat gezeigt, man kann aus dem System aussteigen. Mit Geld freilich. Doch die Freiheit kam auch schon im alten China immer erst am Ende. Erst dem Staat dienen, dann an sich selbst denken. Im Effekt eine chinesische Variante von Geldwäsche? Der Individualismus in China hat es echt schwer.

  

  

  

Simone Harre, 1971 in Freiburg geboren, lebt als zweifache Mutter und prämierte Autorin in Brühl. Als sie 2014 zum ersten Mal nach China reist, erkennt sie, dass sie alles, was sie zuvor über die Volksrepublik gedacht hat, revidieren muss. Sie geht auf die Suche nach dem »wahren« China. Fünf Jahre lang spricht sie mit Chinesen aller Schichten und bekommt einen tiefen und seltenen Einblick in das Leben der Menschen hinter der Kulisse.

 

https://simoneharre.com/

 

Inzwischen gibt sie auch Glückskurse unter der Webseite:  www.simoneharre-Glückshelden.de