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Dr. Marc Hermann ist Sinologe und dazu ein aktiver Übersetzer, der viele berühmte chinesische Schriftsteller wie Zhang Ailing, Bi Feiyu und Liu Cixin ins Deutsche übersetzt hat. Als DAAD-Beauftragter unterrichtete er einst an der Tongji-Universität, wobei er jungen Übersetzern mit in die Weltder Literatur und Übersetzung einführte. Wir haben die Ehre, ihn per E-Mail zu interviewen, damit er uns erzählt, wie er die chinesische Sprache und Kulturkennengelernt hat bzw. was er als Leser, Übersetzer und Lehrer erlebt hat.
1. Aus welchem Anlass begannen Sie Chinesisch zulernen? Könnten Sie uns kurz Ihre Erfahrungen schildern?
Der Anlass war romantischer Natur: Ich begann als junger Germanistik-Student autodidaktisch Chinesisch zu lernen, weil ich mich in eine Chinesin verliebt hatte. Aus dieser romantischen Liebe herausentwickelte sich dann auch eine Liebe zur chinesischen Sprache und Kultur. Wahrscheinlich wäre ich nicht am Ball geblieben, wenn mich die chinesische Schrift nicht so fasziniert hätte. Dazu kam dann das Daodejing, das mich tief beeindruckt und beeinflusst hat. China hat mich sozusagen „ganz“ gemacht: Für mich ist es der „Yin-Pol“ zur höchstrationalen deutschen „Yang-Kultur“.
2. Welcher oder welche chinesische Dichter gefallen Ihnen am besten? Bevorzugen Sie eine bestimmte Epoche bzw. einen bestimmten Stil?
Generell lese ich gern Werke der klassischen Moderne, in China z.B. Shen Congwen, Lao She, Xiao Hong, Qian Zhongshu oder natürlich Zhang Ailing, über die ich auch promoviert habe. Außerdem manche Lyriker der Tang-Zeit wie Li Bai oder Wang Wei und natürlich die daoistischen Klassiker. Wenn ich viel Zeit hätte, würde ich gern das Buch Zhuangzi übersetzen, habe aber auch großen Respekt vor den übersetzerischen Schwierigkeiten, die damit verbunden wären.
3. Welcher klassische chinesische Roman entspricht Ihnen am meisten?
Eine schwierige Frage! Ehrlich gesagt ist das klassische Chinesisch meine große Schwachstelle. Ich mag die tragische Heroik des Sanguoyanyi, ich fühle mich dabei in die Leseabenteuer meiner Jugend zurückversetzt. Noch näher ist mir das Xiyouji, weil es hinter seiner geradezu kindlich-unterhaltsamen Oberfläche ein Buch voll tiefer Weisheit ist. Und mich fasziniert das Hongloumeng, die tiefe Menschlichkeit darin, die geistige Weite, die künstlerische Subtilität. Leider komme ich mir gegenüber demHongloumeng auch besonders klein und ungebildet vor, wie ein Grundschüler, der gerade erstam Anfang eines langen Weges steht.
4. Welcher gegenwärtige chinesische Schriftsteller gefällt Ihnen am besten?
Das kann ich beim besten Willen nicht sagen. Ich schätze die meisten Schriftsteller, die ich selbst übersetzt habe, sehr, aber auch viele andere. Unter den zeitgenössischen chinesischen Schriftstellern, die im deutschen Sprachraum noch so gut wie unbekannt sind, schätze ich z.B. Shi Tiesheng und Ge Fei.
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5. Als Übersetzer haben Sie sich sowohl mit klassischer Literatur wie Zhang Ailing als auch mit zeitgenössischer Belletristik beschäftigt. Weshalb ist Ihr Tätigkeitsgebiet so breit gefächert? Haben Sie dabei deutlich verschiedene Erfahrungen gemacht?
Ich habe tatsächlich alles Mögliche übersetzt: viele Romane und Erzählungen – von Zhang Ailing und Yu Dafu bis hin zu Liu Cixin oder Chen Qiufan –, aber auch viele Essays, Gedichte, Theaterstücke, Bilderbücher und Comics. Für mich gibt es keinen grundlegenden Unterschied zwischen „hoher“ und „niederer“, „ernster“ und „unterhaltender“, alter und neuer Literatur. Entscheidend ist, ob etwas gut ist. Das kann ein klassisches Gedicht, aber auch ein Comic sein. Da ich zum privaten Vergnügen auch alles Mögliche lese – von Goethe und Thomas Mann bis hin zu Comics –, freue ich mich, wenn ich auch als Übersetzer eine ähnliche Bandbreite entwickeln kann. Das stellt für mich auch die eigentliche übersetzerische Herausforderung dar: ganz unterschiedliche Stilregister zu beherrschen und nicht immer im selben Stil (sei er umgangssprachlich oder gehoben) zu übersetzen. Leider hatte ich bis jetzt kaum Gelegenheit, in einem klassisch-gehobenen Stil, der mir eigentlich besonders liegt, zu übersetzen.
6. Übersetzung ist eine Kunst der Kommunikation. Wie schaffen Sie es als Übersetzer, ein Gleichgewicht zu finden zwischen einerseits der chinesischen Sprache bzw. Kultur und andererseits deutschen Ausdrucksgewohnheiten?
Wenn ich übersetze, fühle ich mich nicht als Sinologe, sondern als Germanist (der ich ja ursprünglich auch bin). Ehrlich gesagt übersetze ich nicht aus Liebe zur chinesischen Sprache oder Kultur, sondern aus Liebe zur deutschen Sprache. Als Übersetzer will ich Werke schaffen, die sich wie Originale lesen und auf Augenhöhe mit den Werken deutschsprachiger Schriftsteller stehen. Ich versuche nicht (oder jedenfalls nicht unbedingt), die sprachliche Oberfläche oder den Satzbau des Originals nachzuahmen. Ich übersetze nicht Wörter, sondern Gedanken, das ist mein oberstes Leitprinzip. Das heißt: Es gibt eine Zwischenstufe, in der der Gedanke des Originals in nicht sprachlicher Form in meinem Kopf existiert, ehe ich diesen Gedanken wieder neu ins Deutsche kleide. Ich glaube, die chinesische Kultur ist für die meisten deutschen Leser fremd genug, da sollte nicht auch noch die Sprache fremd sein. Allerdings finden die Leser es manchmal interessant, einzelne chinesische Formulierungen oder Sprichwörter kennenzulernen; das kann das sprachliche Salz in der Suppe sein.
Ansonsten ist mir der Gedanke, dass Übersetzen ein kommunikativer Akt ist, in Fleisch und Blut übergegangen. Das heißt: Wenn ich übersetze, denke ich automatisch immer den Verstehens- und Wissenshorizont des deutschenLesers mit und füge wo nötig erklärende Einschübe im Text hinzu oder mache Fußnoten. Grundsätzlich bin ich eher zurückhaltend bei Fußnoten, aber in den letzten Jahren hat die Bereitschaft zu Fußnoten – selbst bei Autoren wie Liu Cixin, die man eher der „Unterhaltungsliteratur“ zuordnen würde – zugenommen. Ich interpretiere das auch als eine wachsende Bereitschaft, sich mit der chinesischen Kultur auseinanderzusetzen.
7. Wie sehen Sie die chinesische Wuxia- und Science-Fiction-Literatur sowie deren Einführung nach Deutschland?
Uneingeschränkt positiv! Autoren wie Jin Yong oder Liu Cixin schätze ich mehr als so manche „ernsten“ Schriftsteller. Jin Yong bringt seinen Lesern auf höchst unterhaltsame Weise die alte chinesische Kultur und Geschichte näher. Es würde mich nicht wundern, wenn auf diese Weise der eine oder andere jüngere Leser auf die Idee käme, Sinologie zu studieren. Und Liu Cixins Bücher sind in einem wörtlichen Sinne Weltliteratur: Sie werden überall auf der Welt verstanden, weil sie Probleme der ganzen Menschheit thematisieren. Abgesehen von ihrer literarischen Qualität eröffnen solche Autoren die Chance, dass auch ganz „normale“ Leser, die nicht unbedingt ein landeskundliches Interesse an China mitbringen, die chinesische Literatur für sich entdecken.
8. Wenn Sie an die Arbeit und das Leben an der Tongji-Universität zurückdenken, welche Menschen oder Ereignisse hinterließen bei Ihnen einen besonders tiefen Eindruck?
Mich hat die Gewissenhaftigkeit und Gründlichkeit meiner chinesischen Kollegen beeindruckt. Falls es so etwas wie einen deutschen Nationalcharakter gibt und Gewissenhaftigkeit und Gründlichkeit zu den positiven Seiten dieses Charakters dazugehören, dann waren meine Kollegen „deutscher“ als die Deutschen – und deutscher als ich. Bei meinen Master-Studenten waren manche Übersetzungen ins Deutsche – also in die Fremdsprache – besser als die eines durchschnittlichen Studenten deutscher Muttersprache, auch das hat mich beeindruckt. An Ereignissen ist mir unter anderem noch eine Aufnahmeprüfung für Master-Studenten in lebhafter Erinnerung. Es herrschte damals gerade Hochwasser, und der gesamte Tongji-Campus stand – teilweise knietief! – unter Wasser. Trotzdem fand die Prüfung – immerhin eine wichtige Prüfung! – statt, und die Studenten und wir Dozenten saßen, manche mit tropfenden Hosenbeinen und nassen Füßen, im Prüfungsraum. Die klaglose Gelassenheit, mit der alle mit dieser Situation umgegangen sind, wäre in Deutschland undenkbar gewesen.
Anm.: Interviewfragen wurden in deutscher Sprache beantwortet.
Interwiewer, Übersetzung ins Chinesische: ZHANG Jianan
Über den Übersetzer
Zhang Jianan ist Doktorand an der Shanghai International Studies University. Er befasst sich hauptsächlich mit deutscher Literatur und ist der Übersetzer des populärwissenschaftlichen Buches“Bäume: Tief verwurzelt”von Andreas Hase.