Der Rauch entweicht, er steigt auf… er stellt unsere Stimmung da, wir werden ruhig während er wirbelt, wir betrachten die Rauchfähnchen, die Sinne schweifen, der Rauch steigt zu Buddha… wir entspannen, wie kräftigen den Geist, die Seele…
Frau Shi, 53 Jahre, Kräuterhexe des Hanfang-Räucherwerk-Kulturinstituts
Das etwa ist das Mantra… des Räucherwerks, des Hexenwerks. Uraltes Wissen. Verschüttetes Wissen. Und immer wieder gibt es Menschen wie Frau Shi, welche die Fäden alter Kunst wieder aufrollen wollen. Dabei knüpft sie persönlich an etwas an, was auf Jahre zwar unterbrochen, doch schon zuvor in ihrer Familie angelegt war.
„Bereits mein Urgroßvater lehrte die Traditionelle Chinesische Kultur“, sagt Frau Shi und ihm will sie es jetzt gleich tun. Fasziniert vom alten China las sie schon immer gerne chinesische Gedichte. Viele kulturelle Anspielungen verstand sie aber gar nicht. Erst als sie infolge des Medizin-und Sinologiestudiums der TCM begegnete, gingen ihr diverse Lichter auf und sie verstand plötzlich, was es bedeutete, wenn in Gedichten etwa vom Räuchern die Rede war. Ein Blick in die Vergangenheit öffnete sich ihr und sie begann das Räucherhandwerk zu erlernen. Seit fünf Jahren ist sie Expertin in diesem Gebiet und seit 2011 ist sie selbständig.
Sie kredenzt Düfte, sie gibt Kurse und bildet sogar Teilnehmerinnen von Schönheitswettbewerben aus, auf dass diese das Räuchern elegant und traditionell vorführen können, so wie ehedem. Ihre Kurse kosten für Anfänger drei Tage 4800 Yuan, in der Mittelstufe an vier Tagen 6800 Yuan. Es wird experimentiert mit über hundert Stoffen, es gibt historische und praktische Unterweisungen.
Und auch wir sehen jetzt erstmal auf einer Leinwand einen Institutsfilm, der über die Geschichte des Räucherhandwerks in China informiert und erfahren, es stammt aus Indien. Düfte, Duftsalben und Parfüm dagegen aus Ägypten. Diese reichen 3500 Jahre zurück und waren in China in der Tang- und Sui-Dynastie (um 500-700 n. Chr.) bereits verbreitet, denn ab der Han-Dynastie (um 200 n. Chr.) gab es viel Handel mit dem Westen. Erst im siebten Jahrhundert fand der Duft den Weg nach Rom und Griechenland. Ein Verkaufsschlager für die Reichen.
Frau Shi sagt: „Kolumbus wollte die Duftkultur entdecken und entdeckte dann den neuen Kontinent. So hat der Duft die Welt verändert.“ 1370 kredenzt Ungarn ein erstes Parfum, seit 1670 gibt es Riechfläschchen und seit 1708 die Duftseife, das Eau de Cologne und das Duftpulver, welches wie Schnupftabak eingeatmet wurde. Während man in Europa jedoch die Düfte extrahiert hat, hat man in China immer nur die Rohzutaten benutzt. „Wir waren technisch nicht so weit“, erklärt Frau Shi. „Und man ist es auch heute noch nicht.“
Das Räucherhandwerk ist erst vor ein paar Jahren wieder erwacht, jedoch nicht in China, sondern aus Japan zurückgekehrt, „…und die Japaner freuen sich nun, unser altes Wissen wieder an uns zurückgeben zu können“, sagt Frau Shi. Zum Beispiel an sie. Ihr Zertifikat etwa ist von einem japanischen Meister, der in 15. Generation damals den chinesischen Kaiser beliefert hat. Der Unterschied zwischen dem Parfum des Westens und der Duftproduktion des Ostens liegt darin, dass ersteres nur gut duften soll, aber zweiteres der umfassenden Körper-und Geistespflege dient. Das Räucherwerk benutzt übrigens das gleiche Schriftzeichen wie Duft, nur das Räucherstäbchen bekommt ein weiteres Zeichen, die Duftlinie.
Frau Shis Anliegen ist es nun Tradition mit Medizin zu verbinden. Noch ist sie mit der Räucherfirma im Aufbau und wirtschaftet noch nicht, denn, es ist so, der Duftmarkt wird vom Parfum dominiert. Nichts desto trotz, hat Frau Shi einen Wert von schon 10 Millionen Yuan angesammelt und beherbergt sieben Angestellte in einem anderen Gebäude: drei Lehrkräfte, zwei für die Produktion, einen fürs Marketing und einen für den Haushalt. Bevor Frau Shi sich selbständig gemacht hat, war sie Angestellte einer Augenabteilung in einem staatlichen Forschungsinstitut gewesen, welches sie 2006 übernommen hat und nun privat führt. Auch ihr Mann arbeitet dort. Räucherwerk und Produkte für Haar und Augen sind der Schwerpunkt, alles ist noch in der Entwicklung.
Frau Shi hat aktuell ein Fachbuch über das Räucherwerk geschrieben. Es wird an der Uni als Standardwerk benutzt wird, denn, nun ja, es ist das einzige. Bei der Auswahl der Zutaten ihrer Stoffe ist sie sorgsam. „Meine Räucherstäbchen könnten Sie auch essen“, sagt Frau Shi erhaben. Und auf meine Frage nach der schädlichen Belastung der Rauchentwicklung beim Einatmen eingehend, erklärt sie: „Wenn man elektronisch feuert, wird kein schädlicher Rauch entwickelt.“ Das ein oder andere bekommen wir vorgeführt.
Wir sehen wie Frau Shi Sand und dann die Räucherelemente in kleine Gefäße fügt oder betrachten einen Duftkegel mit duftigem Inhalt, dessen Geruch sich bei Bettwärme entwickelt. Es gibt Duftarmbänder, Duftbehälter und diverse Dufthölzer. Und in Regalen unendlich viele kleine gläsernen Dosen mit Duftstoffen. Das kostbarste aller Dufthölzer heißt Chenxiang. Man ritzt es an, dann kommen Bakterien rein, dann wird Öl ausgeschieden und das erzeugt den Duft. Solches, nicht gezüchtetes Holz kostet mehrere 1000 Yuan pro Gramm.
„Es ist gut für den Magen, Darm und die Nieren“, sagt Frau Shi und zeigt uns ein solches Stück, knorrig und wertvoll. Es habe sie selbst erstaunt, wie gut die Wirkung der Duftstoffe seien und so begann sie ihre eigenen Kombinationen zu kredenzen. Adlerholz zum Beispiel fürs Entspannen am Abend, Sandelholz tagsüber für die Konzentration. Kein Wunder, dass das Räucherwerk früher nur etwas für die chinesische Oberschicht war. Es bedurfte Bildung und Geld. Nach den Vorführungen dürfen wir uns ein Säckchen mit Duft aussuchen.
Dann steht wieder das Essen auf dem Plan… Hmm… denken wir, und freuen uns schon auf eine köstliche Runde am runden Tisch. Doch nein, Angie hat uns zu Ehren eine bessere Idee gehabt: Pizza von Pizzahut. Für jeden eine. Wir geben uns erfreut! Sind bevor die Lieferung kommt kurz mal allesamt auf der Toilette und als wir wiederkommen, wartet eine Überraschung auf uns: Ups, Bartmann ist da. Und irgendetwas stimmt nicht. Wir stoßen uns an. Seht ihr das? Ja, er hat seine Haare ab. Das Haupt fast nackt, der Bart plötzlich kurz. Wir lachen und erzählen ihm von unseren bösen Gedanken. Er lacht. „Klar kann ich mich von meinen Haaren trennen. Jederzeit.“
Simone Harre, 1971 in Freiburg geboren, lebt als zweifache Mutter und prämierte Autorin in Brühl. Als sie 2014 zum ersten Mal nach China reist, erkennt sie, dass sie alles, was sie zuvor über die Volksrepublik gedacht hat, revidieren muss. Sie geht auf die Suche nach dem »wahren« China. Fünf Jahre lang spricht sie mit Chinesen aller Schichten und bekommt einen tiefen und seltenen Einblick in das Leben der Menschen hinter der Kulisse.
https://simoneharre.com/
Inzwischen gibt sie auch Glückskurse unter der Webseite: www.simoneharre-Glückshelden.de