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Das einfache Glück von Wangs | China wer bist du

发布时间:2021-04-15浏览次数:63

Herr Wang, 57 Jahre und Frau Wang, 54 Jahre, Bauern und Wanderarbeiter


Die Wangs sind sehr liebenswürdig. Sie sprechen mit ihrem Herzen. Beide sind Mitte fünfzig und eigentlich Bauern, haben früher selbst Acker gehabt, hundert Kilometer entfernt, und Tabak angebaut. Ihr Haus gibt es noch. Dort sind sie nur noch selten. Erst kam Herr Wang. Dann kam Frau Wang. Heute sind beide vom Verwalter und Yao Yang quasi adoptiert und geliebter und geschätzter Teil einer ungewöhnlichen Patchwork-Großfamilie. 


Die Wangs sind dem Verwalter dankbar ergeben. Er hat sie finanziell einst aus einer schlimmen Notlage gerettet. Die Farm verlassen sie selten. Es gibt immer etwas zu tun. Im Sommer hauptsächlich Feldarbeit, im Winter tischlern, mauern, glasen. Einfach das, was so anfällt in einem Betrieb, der sich selbst versorgt. Es geht Ihnen gut, keiner schickt sie weg, keiner beutet sie aus, sie haben finanziellen und sozialen Rückhalt und leben obendrein in einem landschaftlichen Paradies bei immerzu moderaten Temperaturen. Die Bedingungen stehen, zugegeben, ohne Vergleich.



Nur das Meer, das kennen sie nicht. Sie würden es gerne einmal sehen und sie haben keine rechte Vorstellung davon, außer: „Es muss blau sein.“ Und so sagt Herr Wang: „Wir fühlen uns sehr glücklich. Man ist hier nett zu uns, wir haben viel Freiheit.“ Freiheit gilt in dieser Gegend für viele als Synonym für Glück. Das ist ungewöhnlich und vielleicht noch immer dem lebendigen Geist der Bais geschuldet. „Wenn ich noch mal jung wäre, überlegt Herr Wang, würde ich vielleicht etwas mit Immobilien machen, das interessiert mich.“ Und Frau Wang sagt:


„Ich wäre vielleicht gerne Direktorin von einem Kindergarten.“


Und wenn sie frei entscheiden könnten? Einfach so? Herr Wang muss nicht lange überlegen: „So eine Plantage wie diese hätte ich gerne.“ Das wäre toll. Doch im Grunde bedarf es nichts weiter als das Leben, das sie hier führen. Es ist nahezu sorglos, die Arbeit nicht allzu schwer und schon mehr als von ihrem Leben zu erwarten gewesen wäre.



Herr Wang ist ein charmanter Mann, offenherzig. Anfangs ist es hauptsächlich er, der spricht. „Ich kann viele Instrumente spielen!“, sagt er. „Flöte, chinesische Geige.“ Zum Beispiel. Vorführen kann er uns aber nichts. Die Instrumente sind nicht auf der Farm, die hat er in seinem Haus gelassen. Seine Frau ist zunächst sehr zurückhaltend, nur der Mann soll sprechen. Doch nach und nach öffnet auch sie sich. Sie ist wie so viele Bauern Analphabetin. Yao Yan hatte gesagt, die Menschen hier auf dem Land seien kreativ veranlagt und so frage ich:


„Wenn ich euch einen Pinsel in die Hand geben würde, welches Wort würdet ihr schreiben?“Er sagt: „VIEL.“ Sie sagt: „GLÜCK.“


Beide gehen sehr freundlich miteinander um. Streit gibt es praktisch nie. Sie sagt über ihn: „Er kann alles und hat einen tadellosen Charakter.“ Er sagt über sie: „Sie ist fleißig und ehrlich.“



Der schönste Tag in ihrem Leben war der Hochzeitstag. Geküsst haben sie sich aber nicht. Auch nicht beschenkt. Frau Wang kichert. Sie haben sich überhaupt noch nie irgendetwas geschenkt. Sie brauchen nichts. Sie besitzen auch nichts. „Gar nichts?“, frage ich. „Auch kein Erinnerungsfoto zum Beispiel von der Mutter?“ Sie schütteln den Kopf. Sie brauchen auch kein Geld. Also nur sehr wenig. Und wenn sie etwas mehr hätten? Was würden sie kaufen? Sie sehen mich ratlos an. Zucken mit den Schultern. „Nichts.“ Dann: „Doch, vielleicht ein neues Kleidungsstück“, sagt Frau Wang zögerlich.



Und so geht es weiter. Ich frage und frage…. und sie antworten und antworten. Egal, was ich frage. Sie lachen dabei viel, weil ich so komische Dinge wissen will, aber sie haben Spaß. Sie scheinen nur bei sich zu sein, kein Streben nach jenseits der Berge. Gut, sieht man von der Leidenschaft ab, Krimis im Kino der Stadt zu gucken. Das machen beide gern. 


Und natürlich ist auch bei den Wangs nicht alles rosig. Sorgen macht ihnen zum Beispiel die Situation ihres Sohnes. Die Ehefrau hat ihn verlassen. Ihn und das Kind dazu. Sie ist nie wieder aufgetaucht. Eine schlimme Situation für Vater und Kind und auch für die Großeltern, denn nun sind sie es, die sich um das Enkelkind kümmern müssen. Ein Glück, dass der Verwalter so ein guter Freund ist. Denn nach dem Kindergarten in der Stadt kommt es zum Schlafen hier ebenfalls hoch auf die Farm. „Das tut uns im Herzen weh“, sagt Frau Wang. „Und wir wären glücklich, unser Sohn würde wieder heiraten. Kinder brauchen doch Eltern.“ 


Ihre grundsätzliche Anspruchslosigkeit, die gleichzeitig weltzugewandt ist, rührt mich. Die beiden sind zwar arm und ungebildet und doch hell und klug. In einer anderen Gesellschaft wäre Herr Wang vielleicht ein smarter Immobilienmakler geworden oder er hätte eine eigene Farm und Angestellte. Auch Frau Wang könnte selbstverständlich astrein lesen und schreiben, vielleicht sogar unterrichten und sie beide wären möglicherweise selbst in der Lage andere Menschen zu unterstützen. Mit Geld. Mit Herz. Wer weiß. Nur… ob sie glücklicher wären? Hier im Abendsonnenschein mit dem Blick in die weiten Berge, … ich weiß es nicht. Ich weiß nur, die Wangs haben ganz einfach schon ganz schön viel Glück gehabt.




 


Simone Harre, 1971 in Freiburg geboren, lebt als zweifache Mutter und prämierte Autorin in Brühl. Als sie 2014 zum ersten Mal nach China reist, erkennt sie, dass sie alles, was sie zuvor über die Volksrepublik gedacht hat, revidieren muss. Sie geht auf die Suche nach dem »wahren« China. Fünf Jahre lang spricht sie mit Chinesen aller Schichten und bekommt einen tiefen und seltenen Einblick in das Leben der Menschen hinter der Kulisse.

 

https://simoneharre.com/

 

Inzwischen gibt sie auch Glückskurse unter der Webseite:  www.simoneharre-Glückshelden.de